Kick-Off: „Bespielbare und Besitzbare Stadt Filderstadt“

Jetzt „planen“ die Bürger*innen ihre Stadt

FILDERSTADT. Es ist Zeit, die Perspektive zu wechseln! Welche Erfahrungen machen Kinder auf ihren Wegen durch Filderstadt? Mit welchen Herausforderungen sehen sich ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen im öffentlichen Raum konfrontiert? Wie können attraktive Orte der Begegnung in der Großen Kreisstadt geschaffen werden? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigt sich das Projekt „Bespielbare und Besitzbare Stadt“, das vergangene Woche bei einer Auftaktveranstaltung im Kultur- und Kongresszentrum FILharmonie vorgestellt wurde.

Oberbürgermeister Christoph Traub begrüßte die rund einhundert Gäste der Veranstaltung und ermunterte diese zu einem „Perspektivwechsel“: „Hören Sie auf die Erfahrungen der betroffenen Menschen. Es geht nicht darum, was wir uns für unsere Stadt wünschen, sondern darum, was die Menschen brauchen.“ Er lud die Bürgerschaft zur regen Beteiligung – quasi zur „Planung“ ihrer eigenen Stadt – ein.

Professor Bernhard Meyer, Diplompädagoge und Erfinder des Konzepts „Bespielbare und Besitzbare Stadt“, führte gemeinsam mit seiner Tochter Stefanie Zimmermann, Architektin, alle Anwesenden in das intergenerative und bereits preisgekrönte Projekt ein.  2009 begleitet Meyer mit seinem Konzept der „Bespielbaren Stadt“, erstmals seine Heimatstadt Griesheim. Mit Erfolg! Nach der Projektumsetzung in weiteren vier Städten ist nun Filderstadt an der Reihe.

Im Auge des Betrachters

Menschen haben unterschiedliche Blickwinkel auf ihre Stadt. Kinder sehen den öffentlichen Raum beispielsweise mit anderen Augen als Erwachsene. Ein in seiner Mobilität eingeschränkter Mensch macht auf seinen Wegen andere Erfahrungen als einer ohne Beeinträchtigung. Um den öffentlichen Raum attraktiver zu gestalten, sollten die unterschiedlichen Bedürfnisse und Anforderungen der in der Stadt lebenden Menschen berücksichtigt und Erfahrungen eingeholt werden.

Das Projekt „Bespielbare und Besitzbare Stadt“ ist generationenübergreifend und gemeinschaftsfördernd. Ziel ist es, die Qualität der Wege durch so genannte „Wegbegleiter*innen“ in allen fünf Stadtteilen Filderstadts zu verbessern. Die Bürger*innen, ob Groß oder Klein, werden dazu motiviert, wieder mehr Wege zu Fuß zu gehen, sich im öffentlichen Raum zu begegnen, sich dort aufzuhalten und damit am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zudem sollen sich Kinder sicher und gefahrlos durch ihre Stadt bewegen können.

„Bespielbare Stadt“

Beim Thema „Bespielbare Stadt“ geht es darum, den öffentlichen Raum für Kinder spannender zu inszenieren. Wege, die die Kinder täglich gehen (zum Beispiel Schulwege oder Wege zur Kita), sollen attraktiver werden und zum „Zufußgehen“ anregen. Dafür müssen keine neuen Spielplätze gebaut, sondern lediglich Objekte am „Wegesrand“ platziert werden, die zum Benutzen einladen. Das können Punkte auf der Straße sein, Geräte zum Drehen, Steine zum Klettern, Drehscheiben oder Balancierbalken. Möglichkeiten gibt es viele.

„Wir setzen aus Kindersicht ‚Magnete‘“, erklärt Meyer. „Der kleine Filderstädter“ – eine in den Boden eingelassene Betonplatte mit dem Symbol einer Spielfigur, soll Kinder auf Möglichkeiten (spezielle Stellen) zur sicheren Straßenüberquerung hinweisen.

Zu Bedenken, dass die neu gestalteten Schulwege Kinder zu Trödeleien „verführen“ könnten, äußert sich Bernhard Meyer entspannt: „Ich kann Sie beruhigen, die Schüler*innen werden nicht trödeln und den Unterricht verpassen. Im Gegenteil. Die Objekte auf den Wegen verlangsamen nicht, sondern wirken als Beschleuniger, da die nachfolgenden Objekte zum Ausprobieren anregen“. Ein weiterer Vorteil: Wenn Kinder einen Schulweg vorfinden, der sicher ist und Spaß macht, wird auch das „Elterntaxi“ überflüssig.

„Besitzbare Stadt“

Das Thema „Besitzbare Stadt“ berücksichtigt vordergründig die Bedürfnisse von Älteren und gehbeeinträchtigten Menschen. Es müssen beispielsweise Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum geschaffen werden, auf denen eine kurze Pause eingelegt und Energie getankt werden kann. Ältere Menschen stellen sich meist im Vorfeld viele Fragen, bevor sie sich auf den Weg nach draußen machen: Schaffe ich diesen langen Weg? Bin ich dieser Steigung gewachsen? Kann ich mich irgendwo festhalten oder anlehnen? Kann ich mich hinsetzen und schaffe ich es, im Anschluss wieder aufzustehen?

Meyer: „Sitzen ist nicht gleich sitzen“

Um die verschiedenen Bedürfnisse zu berücksichtigen, braucht es unterschiedliche Sitzelemente. Bänke mit der richtigen Sitzhöhe, Elemente zum Kurzzeitsitzen und Stehsitzen oder Objekte, die als Treffpunkte fungieren. Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum dienen nicht nur Senior*innen und Gehbeeinträchtigten, sondern laden Bürger*innen jeden Alters zum Verweilen ein.

Die beiden Konzepte der „Bespielbaren und der Besitzbaren Stadt“ ergänzen sich sehr gut und bieten viele Synergieeffekte für eine generationenübergreifende Nutzung und ein lebendiges Stadtbild.

Wie geht es weiter in Filderstadt?

Katja Anton-Kalbfell, die Leiterin des Amts für Familie, Schulen und Vereine, hat die Federführung in der Projektsteuerung und freut sich auf die weitere Zusammenarbeit mit Bernhard Meyer und seinem Team. Das Projekt gliedert sich in verschiedene Phasen. Der Realisierung wird eine umfangreiche Analyse vorausgehen, deren Startschuss dieser Tage mit der Kick-Off-Veranstaltung gefallen ist. In den nächsten Monaten sollen Kinder, Senior*innen und mobilitätseingeschränkte Menschen zu ihren Wegen befragt werden.

Im Anschluss geht es an die Auswertung und damit an die Ermittlung der möglichen Standorte der so genannten „Wegbegleiter“. Voraussichtlich im Juli 2024 können der Öffentlichkeit erste Vorschläge für die Gestaltung der Wege in allen fünf Ortsteilen präsentiert werden. Der Abschlussbericht sowie die Ergebnispräsentation sind für Ende September zu erwarten. Folglich kann ab Herbst dieses Jahres die Planung der Umsetzung starten. (ls/jg)